Borderline und Partnerschaft



Ich habe es in einem früheren Artikel schon mal erwähnt: manchmal häufen sich bestimmte Themen in meiner praktischen Arbeit mit Klienten auf eigenartige Weise und beschäftigen mich dann stärker als in „normalen“ Zeiten. Im Augenblick scheint es, als würde mein Praxisschild besonders anziehend auf Paare wirken, von denen einer der Beteiligten von einem mehr oder minder schweren Borderline-Syndrom betroffen ist. Paartherapien als solche sind schon eine sehr anspruchsvolle Angelegenheit; oft genug ist es für den Therapeuten ein ziemlicher Eiertanz zwischen Empathie und Neutralität, zwischen den Wünschen der beiden Partner und dem Bemühen, sich nicht zum Verbündeten in einem unguten Dreieck machen zu lassen. Wenn aber dann einer der beiden Partner auch noch Borderliner wird, dann bekomme ich als Therapeutin wirklich den Eindruck, mit einem Pulverfass von Beziehung zu hantieren, das mir jederzeit bei der kleinsten falschen Bewegung um die Ohren fliegen kann - und wie!

Das Borderline-Syndrom gehört in der Klassifikation der psychischen Störungen zur Gruppe der Persönlichkeitsstörungen. Es betrifft im Grunde die gesamte Identität der Betroffenen und wirkt sich auch auf ihre sozialen Beziehungen extrem aus. Das vielleicht wichtigste Kennzeichen der - im übrigen alles andere als unumstrittenen! - Störung ist ein ausgesprochen instabiles, unsicheres Selbstbild. Daraus resultiert vor allem ein Grundgefühl, das das gesamte Leben der Betroffenen überschattet: Angst. Angst, nicht liebenswert zu sein, Angst vor der inneren Leere, Angst, von nahe stehenden Personen hintergangen oder verlassen zu werden, Angst, als die „unwerte“ Person enttarnt zu werden, als die sich der oder die Borderlinerin tief innen selbst fühlt. Man kann sicher leicht nachfühlen, dass dieses Grundgefühl der Angst zu einer Form der Daueranspannung führt, die kaum zu ertragen ist. Oft macht sie sich dann Luft in starken Stimmungsschwankungen, schweren Depressions- oder Erregungszuständen. Wer einmal einen Wutanfall eines echten Borderliners miterlebt hat, wird den vermutlich nie mehr vergessen, denn die Impuls- und Affektkontrolle bei diesen Menschen ist höchst instabil und verabschiedet sich in Stresssituationen dann gerne mal komplett. (Je den Film „Eine verhängnisvolle Affäre“ mit Glenn Close gesehen? Dann hast du schon eine ganz gute Vorstellung ...) Das ist aber kein böser Wille - Borderlinern genügt ein kleiner Misserfolg, ein als unfreundlich wahrgenommener Blick oder auch ein unguter Gedanke, um völlig aus dem Gleichgewicht zu geraten, und zwar auf eine Weise und in einer Heftigkeit, die für andere Menschen kaum nachzuvollziehen ist.

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Neben der emotionalen Instabilität sind selbstschädigende Verhaltensweisen ein häufiges Kennzeichen von Borderlinern: gezielte Selbstverletzungen (das so genannte „Ritzen“ mit Klingen z. B.), aber auch parasuizidale Verhaltensweisen - exzessiver Drogen-, oder Alkoholkonsum, selbstmörderische Aktionen wie hochriskantes Autofahren, gefährliche sexuelle Kontakte oder Freßanfälle gehören dazu. Viele Borderliner erklären, dass sie diese Handlungen begehen, um sich selbst wieder zu spüren, weil sie sich selbst in einem Werte- und Zielechaos verloren haben und gar nicht mehr wissen, wer sie sind. Andere berichten von chronischen Leere- und Langeweilegefühlen, die sie damit zu bekämpfen versuchen. Und wieder andere wehren sich mit diesen Aktionen verzweifelt gegen die Überflutung durch traumatische Erinnerungen oder suizidale Impulse. Denn viele Borderline-Störungen sind das Ergebnis traumatischer Erlebnisse in Kindheit oder Jugend, z. B. sexuellen Missbrauchs oder schwerer Vernachlässigung. So betrachtet sind die selbstzerstörerischen Verhaltensweisen eigentlich lebensrettende Maßnahmen: immer noch besser, ich schneide mir die Arme auf, um meiner Verzweiflung ein Ventil zu verschaffen und wieder Boden unter die Füße zu gewinnen, als ich bringe mich um ...

Die sozialen Beziehungen der Borderline-Patienten - vor allem natürlich ihre Partnerschaften - sind ebenfalls eine ständige Berg- und Talfahrt: Da die Betroffenen ständig zwischen völliger Idealisierung und ebensolcher Abwertung des Partners schwanken (entweder er ist der beste Partner der ganzen Welt oder das letzte Arschloch), ist es für sie unglaublich schwierig, dauerhafte Beziehungen zu führen. In Auseinandersetzungen verlieren Borderliner oft völlig die Kontrolle über ihr Verhalten und werden auf eine Weise verletzend, die der Partner kaum aushalten kann. Oft spielen auch kurzfristige paranoide Vorstellungen oder eine verzerrte Wahrnehmung der Realität eine Rolle: der Partner wird aus heiterem Himmel dann mit Vorwürfen der Untreue oder sonstigem überschüttet und weiß gar nicht, was er getan haben soll, um diese hervorzurufen. Je mehr er sich aber zu verteidigen und zu rechtfertigen versucht, desto mehr beharrt der Borderliner auf seiner Überzeugung und schließlich eskaliert die Situation so, dass der andere sich nicht mehr zu helfen weiß, außer selbst aggressiv zu werden oder türenschlagend das Haus zu verlassen - für den Borderliner natürlich beides weitere „Beweise“ dafür, dass er mit seinen Vermutungen recht hatte ...

„Wer tut sich denn so eine Beziehung bloß an?!“, wirst du jetzt vielleicht denken. Das ist natürlich eine spannende Frage, das finde ich auch. Die meisten Menschen würden sich vermutlich spätestens nach dem zweiten völlig unangemessenen Wutausbruch ihres Borderline-Partners an die Stirn tippen und das Weite suchen. Dennoch leben sehr viele Borderline-Patienten in Beziehungen, und zwar keineswegs nur in kurzfristigen! Ein interessantes Buch, das ich kürzlich für mich entdeckt habe, beschäftigt sich sehr intensiv mit der Persönlichkeit von Menschen, die sich - oft auch wiederholt! - in Borderliner verlieben und auch dauerhaft mit ihnen zusammen bleiben: „Wenn lieben weh tut“. Geschrieben wurde es von Manuela Rösel, Psychologin und Pädagogin aus Berlin, die viel Erfahrung mit Borderline-Patienten hat. Als gemeinsame Merkmale vieler Partner von ihnen macht sie unter anderem aus:
  • den Drang, andere auf eigene Kosten glücklich zu machen und die Bereitschaft zur Selbstaufgabe

  • die Unfähigkeit, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen

  • übertriebene Nachgiebigkeit

  • Perfektionismus und hohe Leistungsbereitschaft (verbunden mit der Idee, sich „Liebe verdienen“ zu müssen), die Unfähigkeit, Fehler zu machen oder zu versagen

  • die Unfähigkeit, klare Grenzen zu setzen und auch zu verteidigen

  • die Überzeugung, dass nichts von dem, was man selbst tut, gut genug ist

  • übertriebene Verantwortungsbereitschaft und Gewissenhaftigkeit bis hin zum Helfer-Syndrom („ich muss ihn / sie vor sich selbst retten“)

Das Gemeine an der Sache ist, dass alle diese Merkmale, die dafür sorgen, dass der Borderliner und sein Partner in ihren Eigenarten und Bedürfnissen quasi ineinander passen wie Hand und Handschuh, das Weiterbestehen der Borderline-Störung begünstigen, statt ihr entgegen zu wirken. Sehr viel hilfreicher für den Borderliner wäre ein Partner, der konfliktfähig ist, der über ein gesundes Selbstwertgefühl verfügt, ihm konsequent entgegen tritt und der es aushält, wenn der andere mit Liebesentzug oder emotionaler Erpressung droht. Dieser würde ihm die Chance geben, neue, konstruktivere Verhaltensweisen zu lernen, die sich dann auch auf seine anderen sozialen Beziehungen positiv auswirken könnten. Neben einem gewaltigen Maß an emotionaler Stabilität muss ein solcher Partner aber auch über eine hohe empathische aktive Kommunikationsfähigkeit verfügen, damit er sich nicht dazu verführen lässt, auf die Auslöser z. B. der Wutausbrüche zu reagieren, sondern auf die dahinter stehenden Ursachen - also z. B. sich gar nicht auf ein Rechtfertigungsdrama à la „ich weiß doch, dass du mich betrügst!“ - „nein, tu ich nicht!“ - „doch, tust du wohl!“ ad infinitum einzulassen, sondern lieber auf der Metaebene zu reagieren: „Kann es sein, dass du dich gerade sehr traurig / wütend / hilflos .. fühlst? Sag mir, wie ich dir helfen kann, damit es dir besser geht.“

Ein hartes Brot! Und verflixt schwierig im Alltag durchzuhalten, keine Frage. Jeder Partner eines Borderliners muss sehr genau für sich prüfen, ob er willens und in der Lage ist, mit dieser ganz besonderen Situation dauerhaft so umzugehen, dass er weder sich selbst noch seinem Partner schadet. Und es erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl, um herauszufinden, ob eine Beziehung mit einem Borderliner eine Zukunft hat oder eben nicht .. und dann die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Sinnvoll finde ich es aber allemal, sich intensiv mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, wenn man selbst sich in einer längeren Beziehung mit einem Borderliner wiederfindet. Denn wenn man die einfach abbricht und einen neuen Partner sucht, kann es gut sein, dass man gleich an den nächsten Borderliner gerät - so wie manche Frauen sich mit schlafwandlerischer Sicherheit einen Alkoholiker nach dem anderen als Partner herauspicken. Also ist es eine gute Idee, sich selbst zu fragen: Was zieht mich denn an diesem besonderen Muster so sehr an? Warum habe ich noch nicht die Flucht ergriffen? Welche Eigenschaften / Erfahrungen / Überzeugungen in mir sorgen dafür, dass wir beide ein Paar geworden sind und es so lange sind?

Ich kann dir das genannte Buch dafür nur empfehlen, falls du selbst in so einer Situation stecken solltest. Neben einer guten Selbstanalyse gibt es dir auch unzählige sehr konkrete Tipps zu deinem Kommunikationsverhalten im Beziehungsalltag, die es dir leichter machen, eure Muster zu verstehen und konstruktiver auf die Stimmungsschwankungen deines Partners zu reagieren, als du es bisher vielleicht konntest. Und wenn es sich herausstellt, dass Bleiben keine Alternative mehr ist, macht es dich auf eine Reihe von Problemen und Fallstricken aufmerksam, denen du dich möglicherweise gegenüber sehen wirst, wenn du deinen Partner verlassen willst. Ein tolles Buch, voller handfester praktischer Informationen und Hilfestellungen und ganz einfach zu lesen für jeden!

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